Deprivationsschaden

Deprivationsschaden beim Hund: Was steckt dahinter?

Finley: „Manchmal ist es noch ziemlich gruselig, das Leben. Oft kommen mir die Menschen noch fremd vor. Auch noch nach Wochen. Ich kann mich an manche immer erst noch langsam gewöhnen. Aber ich will sie nicht mehr auffressen. Fremde Hunde sind mir auch noch oft suspekt. Immer wieder sehen sie aus wie große Monster mit riesigen Schnauzen die feurige Blitze verteilen können… aaaber mittlerweile weiß ich, dass Frauchen eine echt coole Drachenjägerin ist. Sie verscheucht die bösen Monster und dann sehe ich, dass da eigentlich nur so eine unsichere Fellnase steht wie ich…manchmal auch eine ganz süße Fellnasin 😉 Dann kann ich mich viel besser konzentrieren und sogar auch ein bißchen los lassen.. also nicht Mama, aber meine Ängste..und dann fange ich an zu buddeln, auf Bäumen zu balancieren oder im Bach zu planschen… und Mami passt auf, dass mich die Monster nicht einholen.  Und irgendwann schaffe ich es auch ganz alleine.. und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm, oder ? Was meint ihr?“

Finley hat schon sehr früh sehr schlimme Erfahrungen machen müssen. Man verletzte ihn so stark, dass er dabei sogar ein Auge verlor. Man fand ihn und er wurde zur Genesung isoliert. So lernte er nie seine Umwelt kennen und kannte keine Sozialisierung. Zu allem Überfluss war dann auch noch seine erste Pflegestelle gewalttätig und grob und verschlimmerte Finleys ängstliches Wesen. Schließlich wurde er auch dort wieder heraus gerettet und so kam er zu uns ins happydogplace.  Ängstlich, oft panisch und in seiner Unsicherheit um sich beißend und nach vorne gehend. Alles brachte ihn aus der Balance: ein lauter Ton, eine schnelle Geste, ein einfaches Missgeschick.  Ein Arzt bestätigte Finley einen Deprivationsschaden.

Deprivationsschaden beim Hund: Was steckt dahinter?

In der Tat hört man in letzter Zeit häufiger den Begriff „Deprivationsschaden“ im Zusammenhang mit Verhaltensproblemen bei Hunden. Aber was genau verbirgt sich denn jetzt wirklich hinter diesem Fachbegriff und kann er wirklich alle Schwierigkeiten erklären?

Folgen von fehlenden Umweltreizen und Sozialkontakten

Entstehung und Auswirkungen:

Ein Deprivationsschaden beim Hund entsteht, wenn ihm in den ersten Lebensmonaten wichtige Umweltreize und Sozialkontakte fehlen. Diese Mangelerscheinungen führen zu einer Verhaltensstörung, die durch Entzug von wichtigen Erfahrungen entsteht.

Gehirnentwicklung und körperliche Beeinträchtigungen:

Fehlt diese Stimulation in der sensiblen Welpen- und Junghundephase, können sich bestimmte Gehirnbereiche nicht vollständig entwickeln. Dies kann zu unheilbaren Beeinträchtigungen führen, vergleichbar mit dem Kaspar-Hauser-Syndrom oder Hospitalismus.

Neben Verhaltensauffälligkeiten sind auch körperliche Beeinträchtigungen möglich. So kann sich beispielsweise das Sehvermögen bei Hunden, die in Dunkelheit gehalten werden, nicht richtig entwickeln.

Ebenso kann Deprivation auch Appetitstörungen verursachen. Hunde, die nicht oder nur mangelhaft ernährt wurden, können ihren Appetit verlieren oder übermäßig fressen.

Foltermethoden:

Die Isolation als Foltermethode nutzt genau diesen Mechanismus der Deprivation aus, um das Opfer zu brechen.

Zusammenfassend:

Ein Deprivationsschaden beim Hund hat weitreichende und teils irreversible Folgen. Die fehlende Stimulation in der frühen Entwicklungsphase kann zu Verhaltensstörungen, körperlichen Beeinträchtigungen und psychischen Problemen führen.

Symptome eines Deprivationsschadens

Die Symptome eines Deprivationsschadens können vielfältig sein und sich von Hund zu Hund stark unterscheiden.

Häufige Anzeichen:

Angst und Unsicherheit: 

Deprivierte Hunde sind oft ängstlich gegenüber Menschen, anderen Hunden und ihrer Umwelt. Sie können panisch auf Geräusche, Bewegungen oder fremde Gegenstände reagieren.

Aggressives Verhalten:

In ihrer Angst können Hunde mit Deprivationsschaden scheinbar aggressiv reagieren. Sie beißen, knurren oder bellen, um sich zu verteidigen.

Verhaltensauffälligkeiten:

Deprivierte Hunde zeigen oft stereotype Verhaltensweisen wie zwanghaftes Lecken, Jagen am eigenen Schwanz oder Bellen ohne erkennbaren Grund. Dies ist oft auch als Übersprungsverhalten anzusehen, in für sie unsicheren Situationen.

Lernschwierigkeiten:

Es fällt ihnen schwer, neue Dinge zu lernen, da es Vertrauen voraussetzt, welches wiederum schwer ist für sie

Auswirkungen auf das Leben:

Ein Deprivationsschaden kann das Leben eines Hundes stark beeinträchtigen. Die Hunde haben oft Angst und sind unsicher, was zu Problemen im Alltag führen kann. Sie erlernen Neues schwerer, vertrauen viel später und in schwierigen Situationen können sie mit scheinbar angreifendem Verhalten reagieren.

In Finleys Fall:

Angst und Unsicherheit:

Finley hat Angst vor allem und jedem, da er nie gelernt hat, die Welt als sicheren Ort zu empfinden.

Aggressives Verhalten:

In seiner Angst und Unsicherheit kann Finley um sich beißen, um sich zu verteidigen.

Konzentrationsschwierigkeiten:

Finley kann sich nur schwer konzentrieren, da er ständig von seinen Ängsten abgelenkt wird.

Vertrauensprobleme:

Finley hat Schwierigkeiten, fremden Menschen und anderen Hunden zu vertrauen, da er in seiner Vergangenheit negative Erfahrungen gemacht hat.

Finleys Geschichte verdeutlicht die Folgen eines Deprivationsschadens. Durch die frühen traumatischen Erlebnisse und die fehlende Sozialisierung hat er Angst vor Menschen und anderen Hunden. Er ist unsicher und reagiert in Stresssituationen mit aggressivem Verhalten

Ursachen und Lösungsansätze

Viele Hunde, die als „Problemhunde“ bezeichnet werden, leiden unter einem Mangel an Sicherheit oder tragen die Last, für die Sicherheit ihrer selbst, ihres „Rudels“ oder anderer Ressourcen verantwortlich zu sein. Diese Probleme können oft gelöst werden, indem dem Hund sein verlorenes Sicherheitsgefühl zurückgegeben oder ihm diese Verantwortung abgenommen wird.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Hund in seinen Prägephasen bereits die Erfahrung gemacht hat, dass andere für seine Sicherheit sorgen können. Fehlt diese Erfahrung, fällt es diesen Hunden extrem schwer, Vertrauen zu einem Menschen aufzubauen und sich auf dessen Schutz zu verlassen. In solchen Fällen ist ein langwieriger Therapieprozess notwendig, der dem Hund geduldig und konsequent vermittelt, dass sein Mensch ihm Sicherheit und Geborgenheit bietet und sein Schicksal in deren Hände zu legen.

In diesem Fall erfordert es viel Zeit und Geduld, dem Hund immer wieder zu zeigen, dass sein Frauchen oder Herrchen für seine Sicherheit sorgt. Das Ziel ist es, sein Vertrauen zu gewinnen und ihm so ein Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Entwicklung von Vertrauen und Sicherheit bei Hunden mit Verhaltensproblemen mit der Förderung einer nicht vorhandenen Veranlagung vergleichbar ist. Ist die Veranlagung vorhanden, kann sie durch Förderung oder Hemmung beeinflusst werden. Fehlt sie jedoch gänzlich, ist es sehr schwierig, sie zu entwickeln.

Trotz scheinbarer Therapieerfolge besteht bei diesen Hunden immer ein gewisses Restrisiko für irrationales Verhalten. Daher sollte man diese Hunde zum Beispiel niemals unbeaufsichtigt mit Kindern zusammenlassen.

Die Therapie eines Deprivationsschadens beim Hund

Die Überwindung eines Deprivationsschadens bei Hunden erfordert Zeit, Geduld und ein liebevolles Zuhause.

Geduld und Beständigkeit:

Der Weg der Genesung kann langwierig sein. Es ist wichtig, dem Hund Zeit zu geben und mit ihm konsequent zu trainieren. Ein sicheres und stabiles Umfeld ist dabei die Basis, in dem der Hund positive Erfahrungen sammeln und Vertrauen aufbauen kann.

Orientierung und Sicherheit:

Neben einem stabilen Umfeld ist es für deprivierte Hunde besonders wichtig, Orientierung und Sicherheit zu erhalten. Dies kann durch einen strukturierten Tagesablauf, klare Regeln und Grenzen sowie einen festen Platz im Rudel erreicht werden. So lernt der Hund, die Kontrolle abzugeben und sich auf seinen Menschen zu verlassen.

Liebe und Verständnis:

Deprivierte Hunde haben oft ein geringes Selbstwertgefühl und suchen verzweifelt danach nach Nähe und danach verstanden zu werden. Es ist daher besonders wichtig, ihre Körpersprache zu verstehen um ihnen Verständnis schenken zu können. Mit Einfühlungsvermögen und Geduld kann man diesen Hunden helfen, Vertrauen zu fassen und die Welt mit neuen Augen zu sehen.

Professionelle Unterstützung:

Ein Verhaltenstherapeut oder -mediziner, oder ein Hundetrainer kann Mensch und Hund auf diesem Weg begleiten. Ein individueller Trainingsplan hilft dabei, die spezifischen Bedürfnisse des Hundes zu verstehen und zu erfüllen.

Zusammenfassend:

Die Therapie eines Deprivationsschadens ist eine Herausforderung, die mit Geduld, Konsequenz, professioneller Unterstützung und vor allem viel Liebe gemeistert werden kann. Mit der richtigen Zeit und Zuwendung können deprivierte Hunde lernen, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen.

Zusätzliche Punkte:

Dem Hund ausreichend Zeit geben: Deprivierte Hunde brauchen Zeit, um sich an ihre neue Umgebung und die neuen Menschen zu gewöhnen. Überfordre den Hund nicht und lass ihm genügend Zeit zum Ankommen.

Kleine Erfolge feiern: Auch kleine Fortschritte sollten gelobt und gefeiert werden. Dies motiviert den Hund und stärkt sein Selbstvertrauen.

Geduld bewahren: Es kann Rückschläge geben. Lassen dich davon nicht entmutigen und bleib geduldig. Mit der Zeit und der richtigen Unterstützung wird dein Hund lernen, mit seinen Ängsten und Unsicherheiten umzugehen.

Den Hund niemals bestrafen: Bestrafung verschlimmert die Probleme bei einem deprivierten Hund in der Regel nur. Setz stattdessen auf positive Verstärkung und belohnen erwünschtes Verhalten und gebe ihm Orientierung.

Behandlung eines Deprivationsschadens

Die Behandlung eines Deprivationsschadens ist langwierig und erfordert Geduld und Konsequenz. Mit viel Liebe, Einfühlungsvermögen und fachmännischer Expertise können Hunde mit Deprivationsschaden jedoch lernen, mit ihren Ängsten umzugehen und ein weitgehend normales und langfristig ein glückliches und erfülltes Leben zu führen.

Finleys Weg:

Finley hat große Fortschritte gemacht. Er lernt langsam, mit seinen Ängsten umzugehen und Vertrauen zu uns aufzubauen. Innerhalb seines Rudels fühlt Finley sich immer sicherer. Dann schafft er es sogar schon häufig auch mit „neuen“ Erlebnissen gut zurecht zu kommen. Sogar in für ihn „bedrohlichen“ Situationen, gelingt es ihm immer besser abzuwarten, statt direkt in den Verteidigungsmodus zu fahren. Dadurch gibt es immer mehr Situationen für ihn, in denen er auch mal frei und gelassenen toben kann oder auch einfach mal die Welt entdecken kann.  Und Welt entdecken ist gar nicht immer so einfach, für einen Hund mit seinen Erfahrungen.

Natürlich weiß ich, dass es ein lebenslang anhaltender Prozess sein wird, aber mit Geduld, der richtigen Orientierung und Sicherheit, mit Zuneigung und Verständnis kann er ein glückliches und erfülltes Leben führen.

Vorbeugung:

Ein Deprivationsschaden kann verhindert werden, indem Welpen von Anfang an ausreichend Reize und Erfahrungen erhalten. Dies bedeutet, dass sie mit anderen Hunden und Menschen aufwachsen sollten, viel Kontakt zur Umwelt haben und ausreichend Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten haben.

Wichtig: Dieser Artikel dient lediglich der Informationsgewinnung und ersetzt keine professionelle Beratung durch einen Tierarzt